Bernd Künzig on «Absence» (in German)
Text for the exhibition «VIA conception», Friedrichsbau Bühl, 2004
VIA CONCEPTION
Die neuen Medien, die elektronischen Bilder, Fernsehen, Video und Computer verändern zunehmend unsere Lebensbedingungen (...). In „Absence“, einem mehrteiligen Fotoessay, versucht der Fotokünstler Thomas Kneubühler diesen Veränderungen einen bildlichen Ausdruck zu geben, der sich selbst in diesem medialen Veränderungsbereich des fotografischen, unter Einbeziehung elektronischer Mittel, erzeugten Bildes abspielt. Wir sehen Gesichter von Menschen, deren Blick auf den Monitor eines Computers gerichtet ist. Es sind Menschen unterschiedlichen Geschlechts und Alters, die verschiedenen Verrichtungen mit dem elektronischen Medium nachgehen. Gleichgültig, ob es sich dabei um Gentechnologen, Multimediadesigner, Versicherungsangestellte, Architekten, Physiker oder Schüler handelt, gemeinsam ist ihnen ein Blick der Aufmerksamkeit, der mit voller Konzentration auf den Bildschirm fällt. Er scheint die unmittelbare Umgebung in Vergessenheit geraten zu lassen. Es ist ein Blick gleichzeitiger An- und Abwesenheit, ein Blick der Absorbiertheit und des Verschlungenwerdens. Die Anwesenheit gilt den virtuellen Bereichen, die sich im bildhaft wiedergegebenen Daten- und Zahlennetzwerk der Computer abspielen, die Abwesenheit dem Raum, in dem sich diese Konzentration abspielt, gilt somit für eine Wirklichkeit, die wir durch den Blick der Fotografenkamera wahrnehmen, die jedoch nicht mehr eine im Moment der Aufnahme aktuelle Form der Realität für die dargestellten Menschen ist. In gewisser Hinsicht stellt sich dem Betrachter dabei auch die Frage nach der Wirklichkeit dieser gezeigten Menschen. Lässt sich etwas über deren sozialen Stand, über die Art der Arbeit sagen, über ihre individuellen Persönlichkeiten? In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts versuchte der Fotograf August Sander den Fotoapparat als nahezu wissenschaftliches Instrument zu behandeln, das in der Lage war, eine realistische, optische Enzyklopädie von Menschen innerhalb ihrer Klassen und täglichen Arbeitsverrichtung zu erstellen. Aus der optischen Präsenz, der von August Sander porträtierten Menschen lassen sich in der Tat Beschreibungskategorien entwickeln, mit denen wir auf deren Lebensrealitäten schließen können. In Thomas Kneubühlers „Absence“-Serie ist dies nicht mehr möglich. Die Arbeitsfelder dieser Menschen können nicht unterschiedlicher sein, ihr individueller Umgang mit ihren Mitmenschen, ihre Gesprächssituationen, ihre Freitzeitgestaltungen werden von diesen sehr unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern sicherlich mitbestimmt. Die Darstellung der unmittelbare Ausübung ihrer Tätigkeit lässt jedoch von diesen Differenzen wenig erahnen. Um ihre unterschiedlichen Aufgaben zu erfüllen, sind sie scheinbar gezwungen, die gleiche Blickhaltung auszuüben, die in eine imaginäre Ferne gerichtet zu sein scheint. Wenn dieser Blick aber auch den virtuellen Bildwelten des Computerzeitalters geschuldet ist, dann spiegelt sich darin gleichzeitig unser Betrachterblick wieder. Insofern weist uns Thomas Kneubühlers Serie darauf hin, daß die Veränderungen der neuen Medien vor allem solche des Blicks und der Wahrnehmungsverarbeitung sind. In einer erneuten Umkehrung der von Karl Marx entwickelten Ökonomie, ließe sich heute wieder sagen, daß das Bewußtsein das Sein bestimmt und nicht umgekehrt. Der abwesende Blick, der in die Virtualität der Computer- und Fernsehmonitore gerichtet ist, scheint demnach mehr denn je unsere Konstruktionen von Wirklichkeit zu bestimmen und zu einer ökonomischen, sozialen, politischen und damit auch ästhetischen Realität werden zu lassen.