Claudia Spinelli - Office 2000 (in German)
Catalogue text for the exhibition «Real Estate», Kunstmuseum Solothurn, 2008
OFFICE 2000
Vor ein paar Jahren hat der Solothurner Thomas Kneubühler seinen Lebensmittelpunkt nach Montreal verlegt. Dies hat seine künstlerische Arbeit ganz wesentlich geprägt. Die urbane Kulisse seiner neuen Heimat wirft Motive ab, die er in der Schweiz nie gefunden hätte. Office 2000, eine seiner bisher aufwändigsten Bildserien, handelt von Menschen und doch ist auf den Prints kaum eine Sterbensseele zu sehen: der Künstler fotografiert hell erleuchtete Hochhäuser in der Dunkelheit der Nacht.
Für die meisten Europäer ist die Skyline der nordamerikanischen Städte der augenfälligste Unterschied zu ihrer Heimat. Als Zeichen für eine boomende Wirtschaft schiessen die Hochhäuser wie Pilze aus dem Boden. Ungetüme, in denen die Menschen am Morgen verschwinden, um sich vor ihre Bildschirme zu setzen und ihre Arbeit zu tun: um zu mailen, zu kalkulieren, zu delegieren. Einige verbringen den ganzen Tag am Computer. Sie sitzen an ihrem Arbeitsplatz im Grossraumbüro und sind mit ihrem elektronischen Gegenüber doch ganz allein. Andere treffen sich vielleicht auf dem Flur, um miteinander einen schnellen Kaffee zu trinken. Und manchmal kratzt sich einer, der sich unbeobachtet wähnt, zwischen den Zehen. Am Abend, immer ungefähr zur gleichen Zeit, schlüpfen die Büroarbeiter in ihre Mäntel und packen ihre Taschen. Sie steigen in den Lift und bewegen sich zu einem der Ausgänge. Sie machen sich auf den Heimweg in die Suburbs, wo sie mit ihren Familien – Frau, Kind und Hund – leben.
Die Lust, eigentlich unzugängliche Zonen mit seiner Kamera zugänglich zu machen, ist eine der Triebfedern von Thomas Kneubühlers Schaffen. Tagsüber geben die verspiegelten Fassaden der Bürohochhäuser kaum etwas vom Innenleben der Bürogebäude preis. Ganz anders ist es in der Dunkelheit der Nacht: Zumindest so lange bis das Putzpersonal seine Arbeit getan hat, bleiben die Lichter an und die Fassade wird transparent. Und doch: Wenn man Thomas Kneubühler fragt, ob er ein Voyeur sei, dann winkt er ab. Tatsächlich gibt es auf seinen detailgenauen Fotos, anders als zunächst erwartet, nichts Verbotenes, nichts Geheimnisvolles zu entdecken. Vielmehr herrscht Alltag, mithin sogar Banalität. Eine Besonderheit dieser Bilder ist ihre hohe Auflösung: sie können sowohl aus Distanz wie auch aus der Nähe betrachtet werden. Viele Details entdeckt auch Thomas Kneubühler erst auf dem Print. Und so kommen – trotz den system- und kapitalismuskritischen Untertönen, die bei ihm immer mitschwingen – auch hoffnungsvolle Beobachtungen zum Ausdruck. Die formale Strenge der Fassade lockert sich aus Nahsicht, das Stereotyp des Rasters erhält individuelle Züge: Pflanzen auf einem Fenstersims, ein halb heruntergelassener Rollo, irgendwo die Lehne eines Stuhls. Die Menschen, die den Grossteil ihres Lebens in diesen Gebäuden verbringen, hinterlassen eben doch Spuren.