Yvonne Volkart on the works by Thomas Kneubühler (in German)
Text for SIKART, the Encyclopaedia for Contemporary Art in Switzerland, 2017
Lexicon article (excerpt)
Thomas Kneubühlers Werk lässt sich als eine poetischdokumentarische Auseinandersetzung mit der Industrialisierung und Globalisierung sowie der Inbesitznahme von Land und Landschaft beschreiben. Es steht bezüglich Methodik und Thematik der engagierten Konzept- und Essay-Fotografie nahe. Kneubühler nimmt zeitgenössische Infrastrukturen und ökonomische Verschränkungen dieser Landschaften, Wege und Orte in den Blick. Starkstromleitungen, hell erleuchtete Skipisten in dunkler Nacht, umzäunte Industrieareale, strahlende Bürofassaden, Lastwagen oder Karibus, die nach Norden ziehen; sie alle werden als miteinander verknüpfte Phänomene aktueller und historischer Formen von Mobilität, Ressourcenpolitik und Landverteilung erfahrbar. In Under Currents (2011) beispielsweise geht es um die Einrichtung von Wasserkraftwerken im Norden Quebecs, welche die Bevölkerung und die Landschaft stark beeinträchtigen. Traditionell wohnen Nomaden wie Inuit und Cree in diesem Gebiet. Besonders die Cree (grösste Gruppe der kanadischen indigenen Einwohner, auch First Nations genannt) haben nur eine Teilautonomie auf ihrem Land und keinerlei Mitsprache, selbst dann, wenn ihre Lebensweise durch den Bau von Staumauern unmittelbar in Frage gestellt wird und es zu «Umsiedlungen» kommt.
Die neueren Arbeiten, wie etwa Electric Mountains (2009) oder Days in Night (2013–15) bestechen durch Einstellungen von grosser Tiefenschärfe sowie durch eine eigentümlich entleerte, fast schon magisch anmutende Schönheit und Abstraktion. Die hell erleuchteten Berge in Electric Mountains, als nächtlicher Vergnügungsort für Skifahrer in Szene gesetzt, evozieren ein Moment irreversiblen Verlusts. Eine Melancholie wird spürbar, wie man sie aus der Landschaftsmalerei oder -fotografie kennt. Gleichzeitig lassen die konkret verortete inhaltliche Thematik sowie die Brüche, die insbesondere in den Videos, im Zusammenspiel von Bild und Ton zum Tragen kommen, andere Möglichkeiten aufblitzen: Noch ist die geplante Mine, die in Land Claim (2014–15) thematisiert wird, nicht gebaut. Verschiedene Interessen und damit verbundene Orte werden in dieser mehrteiligen Foto- und Videoarbeit aufgezeigt: die Nickelmine im arktischen Raglan, zu der die Arbeiter mit firmeneigenen Flugzeugen hingeflogen werden, das herbe Land in Aupaluk, Nord-Quebec, wo eine Eisenmine geplant ist und schliesslich die abweisende Glasfassade des Firmensitzes von Glencore in Zug, der Besitzerin dieser Minengesellschaft. Auf den Fotografien sind die in Reih und Glied aufgehängten Stirnlampen der Minenarbeiter zu sehen oder die Löcher der Kernbohrungen, die das Gebiet sondieren. Nahe am Boden, am Gestein, an den harten Gräsern entlang führt die Videokamera den Blick; im Off hören wir die Aufzeichnung einer Telefonkonferenz, in welcher das Gebiet möglichen Investoren angepriesen wird. «Mining takes place in the dark, far away from the public eye», schreibt Thomas Kneubühler in seinem Begleittext. Die Dunkelheit ist metaphorisch und real, gearbeitet wird da, wo kein Licht, kein Mensch von Aussen hinkommt. Die Klandestinität ist legal.